Deutsche Oper am Rhein: Premiere von Ludger Vollmers „Gegen die Wand“ beisterte nicht nur junges Publikum

Sirin Kiliç (Sibel), Tansel Akzeybek (Yilmaz Güner), Günes Gürle (Cahit). Foto: Hans Jörg Michel.

Sirin Kiliç (Sibel), Tansel Akzeybek (Yilmaz Güner), Günes Gürle (Cahit).
Foto: Hans Jörg Michel.

Verzweifelt auf der Suche nach sich selbst

Sibel Güner (Şirin Kiliç), 21 Jahre jung und lebenshungrig, hat einen Selbstmordversuch hinter sich. Im Krankenhaus begegnet sie Cahit Tomruk (Günes Gürle), gute zwanzig Jahre älter als sie, der sich ebenfalls umbringen wollte. Zwei zerrissene Seelen, die ausbrechen wollten aus einem Leben, mit dem sich nicht klarkommen. Sibel bittet Cahit, sie zu heiraten, damit sie aus den Zwängen ihrer traditionellen Familie raus kommt. Cahit willigt schließlich ein. Auch ihre Familie – Vater Yunus (Michail Milanov), Mutter Birsen (Sarah Ferede) und Bruder Yilmaz (Tansel Akzeybek) – stimmt zu. Sie heiraten.

 

Tansel Akzeybek (Yilmaz Güner), Sarah Ferede (Birsen Güner), Sirin Kiliç (Sibel), Michail Milanov (Yunus Güner). Foto: Hans Jörg Michel.

Tansel Akzeybek (Yilmaz Güner), Sarah Ferede (Birsen Güner), Sirin Kiliç (Sibel), Michail Milanov (Yunus Güner). Foto: Hans Jörg Michel.

„In sehr katholischen Familien sind die Wertvorstellungen nicht viel anders als die von Sibels Familie“, erklärte Komponist Ludger Vollmer bei der Einführung in seine Oper. Dies habe ihn an dem Film so berührt, dass er den Stoff und das Drehbuch als Grundlage für eine Oper wählte. Entstanden ist „Gegen die Wand“ nach dem gleichnamigen Film des deutschtürkischen Filmemachers Fatih Akin. Auch wenn die Handlung ganz in diesem Kulturkreis angesiedelt ist, geht die Thematik und die mit ihr verbundenen Emotionen doch weit darüber hinaus. Hier konnten auch jene im Publikum anknüpfen, die anderer Herkunft sind. In deutsche und türkischer Sprache gesungen, erleichtern Übertitel in beiden Sprachen das Verständnis der Handlung.

 

Ein „Spiel der Welt“, dass die Emotionen der Zuschauer traf
Aufgewühlt und emotional berührt waren die Zuschauer – unabhängig von Herkunft und Alter übrigens. Denn bis ins hohe Alter fühlten sich Menschen angesprochen, wie mir ein Mann jenseits der Achtzig versicherte. Mit „Gegen die Wand“ erreichte die Deutsche Oper am Rhein auch in einem viel größeren Rahmen ein jugendliches Publikum, Schüler, aber auch Studenten.

In Schulen war die Thematik im Vorfeld besprochen worden, die Schüler hatten sich intensiv damit befasst. Die Ergebnisse der Schülerarbeiten und wie sehr sie sich in der Thematik selber wieder finden, kann man in einer Fotoausstellung vor dem Opernfoyer sehen.

Breakdancer der Projektgruppe „Oper meets HipHop“ / aktuelles forum nrw, Projektchor. Foto: Hans Jörg Michel.

Breakdancer der Projektgruppe „Oper meets HipHop“ / aktuelles forum nrw, Projektchor.
Foto: Hans Jörg Michel.

Wer eine nüchterne Präsentation von „Hochkultur“ erwartet hatte, wurde nachvollziehbar „enttäuscht“. Eine Oper spiegelt mit ihren eigenen Mitteln das Leben von Menschen: Liebe, Leidenschaften, das Leben und den Tod. Der ausgesprochene Lebenshunger Sibels und die Zerrissenheit der Charaktere auf der Suche nach sich selbst sind der Stoff für sehr emotionale Inszenierung. Die Sänger erweckten die Charaktere regelrecht zum Leben: Heute ist neben dem Gesang auch die schauspielerische Darstellung gefordert. Wer sich im Vorfeld ein bisschen inhaltlich mit dem Thema von „Gegen die Wand“ beschäftigt hatte, wurde mit der Umsetzung auf die Bühne nicht enttäuscht. Gestrafft in Handlung und Dialogen, reduzierte die Oper die Handlung auf wesentliche Stränge, die in sich immer noch schlüssig sind. Allerdings erleichtert es die Einordnung von Zusammenhängen ungemein, wenn man vorher den Film gesehen hat.

Disharmonien zeigen Zerrissenheit der Charaktere
Bereits 2008 war die Oper von Ludger Vollmer in Bremen uraufgeführt worden. Vollmer arbeitet mit einem eigenen Libretto (Text), welches sich sehr nah am Drehbuch orientiert. Das Theater Duisburg ist das fünfte Haus, an dem die Oper läuft. Die Duisburger Philharmoniker sitzen bei diesem Stück nicht im Orchestergraben, sondern hinter der Bühne auf einer Empore. Die Bühne ist bis zu den Zuschauerreihen gezogen, ein Steg führt mitten ins Publikum. Selten sitzt man im Parkett dermaßen dicht an der Handlung – oder sogar zuweilen mittendrin.

Günes Gürle (Cahit), Sirin Kiliç (Sibel). Foto: Hans Jörg Michel.

Günes Gürle (Cahit), Sirin Kiliç (Sibel).
Foto: Hans Jörg Michel.

Disharmonien in der Komposition Vollmers sind gewollt, spiegeln sie doch die innere Zerrissenheit der Charaktere wider – und von den Duisburger Philharmonikern brillant umgesetzt. Gerne arbeitet Komponist Ludger Vollmer auch orientalische Klänge und Instrumente in seine Werke ein. Die Duisburger Philharmoniker unter der Leitung von Wen-Pin Chien integrierten hier Solisten wie Enikö Ginzery (Cymbalon), Önder Baloglu (Violine) oder Christian Dammann (Klavier, Keyboard), aber auch Taylan Acar (Kaval, Duduk, Mey und Zurna) und Gökhan Kamverdi (Saz) mit ihren türkischen Instrumenten und orientalischen Klängen. Nachdem der Chor der Deutschen Oper am Rhein wegen einer ursprünglich andere Spielzeit-Planung in Düsseldorf („Death in Venice“) im Einsatz war, übernahmen Studenten der Robert-Schumann-Hochschule zusammen mit dem Extrachor der Rheinoper diesen Part mit Bravour.

Sirin Kiliç (Sibel), Conny Thimander (Niko), Günes Gürle (Cahit), Projektchor. Foto: Hans Jörg Michel.

Sirin Kiliç (Sibel), Conny Thimander (Niko), Günes Gürle (Cahit), Projektchor. Foto: Hans Jörg Michel.

Suche nach eigenen Leben
Nach der Hochzeit stürzt Sibel sich ins Leben, in die Freiheit, die ihr im Elternhaus verwehrt war. Cahit verliebt sich allmählich doch in seine Frau, die aber mit den für ihn erwachenden Gefühlen nicht klarkommt. Als Barkeeper Niko (Conny Thimander) Cahit mit der Untreue Sibels provoziert und bis aufs Blut reizt, erschlägt dieser ihn. Hier endet der erste Akt: Schnitt. Pause.

Cahit geht ins Gefängnis. Sibel verspricht, auf ihn zu warten. Sie geht nach Istanbul, nachdem sie von ihrer Familie – zu deren Ehrenrettung – verstoßen wurde. Dort arbeitet sie zunächst bei Cousine Selma (Elisabeth Selle) im Hotel, zieht dann aber zu Hüseyin (Conny Thimander), in dessen Bar sie zu arbeiten anfängt. Sie stürzt ab mit Drogen und Alkohol, wird vergewaltigt und dann auch noch fast tot geschlagen wird. Nach einem Neuanfang kriegt sie ihr Leben in den Griff.

Jahre später: Cahit folgt Sibel nach seiner Entlassung nach Istanbul. Sie treffen sich, lieben sich. Er bittet sie, mit ihm zu kommen. Ein Happyend? Aber als er am Busbahnhof auf sie wartet, erscheint sich nicht. Er fährt allein – auf der Suche nach seinem Platz im Leben.

Günes Gürle (Cahit), Projektchor. Foto: Hans Jörg Michel.

Günes Gürle (Cahit), Projektchor. Foto: Hans Jörg Michel.

„Oper meets HipHop“ – mittendrin, statt nur dabei
Einzigartig an der Duisburger Aufführung von „Gegen die Wand“ in der Inszenierung von Gregor Horres ist die Integration von Rap und Breakdance. Die Projektgruppe „Oper meets HipHop“ des aktuellen forum nrw hatte sich intensiv mit der Oper befasst. Jugendliche und junge Erwachsene hatten in Wochenend-Workshops Rap-Gesänge erarbeitet, die Komponist Ludger Vollmer in seine Oper und in die Partitur integrierte. Neben der gekonnten Breakdance-Einlage am Anfang, die vom sachkundigen „jungen Publikum“ applaudierend gefeiert wurde, hatten vier Rapper in drei Szenen ihren Auftritt.

Projektgruppe „Oper meets HipHop“ / aktuelles forum nrw, Sirin Kiliç (Sibel). Foto: Hans Jörg Michel.

Projektgruppe „Oper meets HipHop“ / aktuelles forum nrw, Sirin Kiliç (Sibel). Foto: Hans Jörg Michel.

Die Rap-Einlagen sind dabei keine Fremdkörper, sondern wirken integriert wie aus einem Guss. Die vier Rapper im Wechsel stellen quasi den inneren Monolog (oder eher Dialog) dar, der in den Charakteren abläuft. In wenigen präzisen Worten bringen sie die Probleme und Konflikte auf den Punkt: „Warum ich?“, „Was ist Liebe?“ oder „Angst vor Schmerz“ waren die Themen, die die jungen Rapper angesprochen hatten, als sie sich in Workshops mit der Handlung befasst hatten. Themen, die sie bewegen, musikalisch eingebettet in die Orchestermusik.

Ein kleiner Vorgeschmack auf die Rap-Songs:

https://www.youtube.com/watch?v=0oR6DpYZWds


https://www.youtube.com/watch?v=VhE-DRf2I_E

Und ein Teaser der Deutschen Oper am Rhein:
http://www.youtube.com/watch?v=tPyvwUEOM-o

Weitere Termine im Theater Duisburg:
Sonntag | 22. Juni 2014 | 15:00 Uhr,
Mittwoch | 25. Juni 2014 | 19:30 Uhr und
Sonntag | 29. Juni 2014 | 18:30 Uhr.

Karten gibt es im Opernshop an der Düsseldorfer Straße 5 – 7 (Öffnungszeiten: Mo bis Fr 10 – 19 Uhr, Sa 10 bis 18 Uhr) oder unter Telefon 0203 / 9407777. Die Abendkasse öffnet 60 Minuten vor Vorstellungsbeginn. Eine halbe Stunde vor Beginn gibt es eine Einführung im Opernfoyer, die einen kurzen Überblick in die Oper, ihre Handlung und ihre Entstehung gibt. Tickets kosten zwischen 16,10 bis 56,00 Euro. Möglichkeiten für Ermäßigungen bei den Ticketpreisen findet man hier.

 

© 2014 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Hans Jörg Michel, Mannheim / Deutsche Oper am Rhein

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