Es ist der 24. Juli 2013: Heute dient die Gedenkstätte im Untergeschoss der Duisburger Freiheit anlässlich des Jahrestages als Gedenkkapelle. Erwartungsvoll schaut sich der „Hausherr“ um: Opfer der Katastrophe von vor drei Jahren sowie Hinterbliebene der 21 Todesopfer haben sich schon eingefunden. Der Gedenkgottesdienst wird in wenigen Minuten anfangen. Es wird langsam voll hier – aber nicht zu voll und zu dicht gedrängt für jene, die damals auf der Enge des vorhandenen Raumes um ihr Leben kämpften. Fast dezent im Hintergrund des weitläufig offenen, großen Raumes haben sich die TV-Teams mit ihren Fernsehkameras positioniert. Fotoreporter halten ihre Kameras im Anschlag. Schließlich ist es DAS Ereignis dieses Sommers!
Der nach oben offene „Gedenkraum“ ist bereits weitgehend fertig gestellt im Sommer 2013, während oben auf der Duisburger Freiheit noch die Baukräne stehen und dort vor allem am Innenausbau noch emsig gearbeitet wird. Die Gedenkstätte ist größer geworden als in den ersten Plänen: Eine Veranstaltung wie diese wäre sonst hier gar nicht möglich. Die Treppe nach oben mit ihrem monumentalen, weithin sichtbaren Glaskern endet noch auf einem ungestalteten Bauplatz. Oben sollen großzügige Grünzonen und Parkplätze entstehen zwischen den beiden großen Möbelhäusern. Die weitläufige, offene Gestaltung von oben setzt sich hier unten fort. Es kommt – trotz der anwesenden Presse – schon fast eine würdevolle Trauerstimmung auf, die für diesen Anlass angemessen ist. Die Gedenkstätte wird an diesem Jahrestag eingeweiht. Zum Jahresende sollen die Möbelhäuser oben auf der Duisburger Freiheit fertig sein und eröffnet werden, so die Vorstellung von Eigentümer Kurt Krieger. Die Arbeiten liegen gut im Zeitplan. An diesem warmen Sommertag, der seit zwei Jahren als Gedenktag in Duisburg begangen wird, ruhen die Arbeit auf der Baustelle, obwohl es mitten in der Woche ist.
Der Wagen der Ministerpräsidentin fährt in der Unterführung Karl-Lehr-Straße am Zugang zur Gedenkstätte vor. Die Unterführung ist – wie zu den Gedenktagen üblich – für den Straßenverkehr gesperrt. Nur die VIPs kommen heute hier motorisiert (und mit Security-Eskorte) durch. Kurt Krieger geht zum Eingangsbereich: fast vier Meter breit ist der Zugang in einer Glasfassade, die den Abschluss des Raumes zur Unterführung bietet. Kameras sind auf den Berliner Unternehmer gerichtet, als er im Blitzlichtgewitter der Fotografen Hannelore Kraft begrüßt. Durch die seitlichen Fenster kann Krieger erkennen, dass sich auch die Limousine des Duisburger Oberbürgermeisters nähert. Auf Einladung der Opfer und Angehörigen ist er hier ….
Die Einweihung des Gedenkraumes wird heute zum Jahrestag nicht nur von den Opfern und Angehörigen begangen. Kurt Krieger als Hausherr auf der Duisburger Freiheit ist ebenso hier wie die Ministerpräsidentin, der Innenminister oder der Oberbürgermeister. Der Gedenkgottesdienst wird gleich von einem evangelischen und einem katholische Geistlichen gestaltet – das hat Tradition an der Gedenkstätte. Das Fernsehen wird heute Abend darüber berichten, die Tageszeitungen in ihrer morgigen Ausgabe. Nach dem Gottesdienst wird dieser Ort dann etwas ruhiger: Nur die Opfer und Angehörigen werden dann mit sich und ihren Gedanken hier zurück bleiben, um die wieder eingekehrte Ruhe zu genießen.
Möglich geworden ist diese frühzeitige Einweihung, dieser große Event zum Jahrestag, dem noch viele andere Jahrestage – und so mancher mit ähnlicher Medienpräsenz – folgen werden, durch das soziale Engagement des Berliner Unternehmers Kurt Krieger. Er hat in seine ursprünglichen Pläne für die Duisburger Freiheit einen Entwurf für eine geräumige und würdige Gedenkstätte integriert. Anstelle seines ersten, deutlich kleineren Gedenkraumes hat er hier die Vorstellungen und Wünsche von Opfern und Angehörigen aufgegriffen, ihnen beim Gedenken einen ausreichend weitläufigen, offenen Ort und vor allem „Luft zum atmen“ zu geben. Auch hatte er die Arbeiten an der Gedenkstätte etwas forciert, um den Opfern und Hinterbliebenen zum dritten Jahrestag einen angemessenen Ort für ihr Gedenken und ihre Trauer anbieten zu können.
Die helle, ansprechende und offene Gestaltung der Gedenkstätte erleichtert jenen, die das erste Mal diesen Ort besuchen, ihn zu finden. Und Besucher des Trauerortes gibt es seit fast drei Jahren täglich – 24 Stunden am Tag. Menschen, die bei der Loveparade dabei, aber nicht in dem großen Gedränge auf der Rampe zum Zeitpunkt der Katastrophe waren. Menschen aus Duisburg oder der näheren Umgebung, aber auch viele Fremde kommen: Menschen, die mit Duisburg und der Loveparade gar nichts zu tun haben – manchmal sogar von weit her. Sie wollen den Ort sehen und gedenken. Viele können nicht fassen, was hier gesehen ist. Immer noch kommen auch Fernseh-Teams hier her, um mit Opfern und Angehörigen zu sprechen und zu filmen. Der Ort ist es, und er wird es bleiben: ein Ort des öffentlichen Interesses!
Heute, zum Jahrestag, sind es – neben dem Hausherren Krieger und einigen wenigen wichtigen Persönlichkeiten – die Opfer und Angehörigen, die diesen Ort aufsuchen. Letztere sollen heute – vor allem im Anschluss an den Gottesdienst zur Einweihung – auch weitgehend unter sich bleiben können. Der Raum ist groß genug, sie alle einigermaßen komfortabel aufnehmen zu können. Einige leiden schließlich immer noch an den Folgen des Gedränges auf der damaligen Zugangsrampe zum Loveparade-Gelände. Außerdem bietet der Raum auch ausreichend Platz für die Presse: Zur Einweihung der Gedenkstätte ist sie hier mal wieder zahlreich auch mit Kameras und Equipment vertreten.
Kurt Krieger hatte das Gelände des Alten Güterbahnhofs im Jahr 2010 gekauft, um hier zwei Möbelmärkte zu errichten. Kurz danach kamen auf der an diesem Ort veranstalteten Loveparade 21 junge Menschen zu Tode, über 500 wurden zum Teil schwer verletzt und traumatisiert. Eine ganze Reihe von ihnen sind heute nicht mehr oder immer noch nicht wieder erwerbsfähig. Viele haben heute noch Probleme, sich in großen Menschenmengen zu bewegen. Bei Menschenpulks auf engem Raum kommen bei Vielen Erinnerungen hoch, die sie lieber vergessen würden … Der Treppenzugang von oben ist für all jene eine Hilfe, für die die dunkle Unterführung als Zugang zum Unglücksort immer noch der pure Horror ist. Kriegers Einverständnis und sein Engagement – zu dem er nicht verpflichtet war! –, diesen Ort in einer angemessenen Weise zu erhalten und zu gestalten, hilft ihnen, die Ereignisse von damals vielleicht irgend wann einmal zu verarbeiten.
Ein Traum? – Hoffentlich nicht! Oder zumindest nicht ganz, denn der Wunsch nach einer weitläufigen, offene Gedenkstätte, die jedem offen steht, verbindet unzählige Menschen mit den Opfern und den Angehörigen. Der Zeitpunkt der Fertigstellung fällt definitiv unter Träumerei: den dritten Jahrestag werden die Opfer und Angehörigen 2013 wohl eher inmitten einer Baustelle begehen … Ebenfalls ein Traum, wenn auch ein sehr schöner, bleibt der erste Entwurf: die Vision eines mit Klaus-Peter Mogendorf befreundeten Architekten …
© 2011 Petra Grünendahl, Grafiken: Spannhoff GmbH (3), Ahlert Architekturbüro (1)
Klasse! Danke…
Super geschrieben:-)
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