Seit dem Zweiten Weltkrieg waren noch nie
so viele Menschen auf der Flucht Von Petra Grünendahl
Vor Entwürdigung und Entrechtung seien sie damals aus Deutschland geflohen, nach Holland, Großbritannien oder in die Schweiz, erzählte Anne Ley-Schalles, Kuratorin der Ausstellung „Jüdisches Leben in Duisburg 1918 – 1945“, die aktuell im Kultur- und Stadthistorischen Museum (KSM) im Innenhafen läuft. Auch heute fliehen Menschen aus ihrer Heimat – so viele, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Manche davon kommen nach Deutschland, traumatisiert von den Erlebnissen in der Heimat, die sie notgedrungen verlassen haben. „Wir müssen verhindern, dass sie ähnliches Leid hier erfahren“, erklärte Angelika Wagner im Hinblick auf Brandanschläge auf Asylbewerberheime, die jüngst Schlagzeilen machten.
Traditionell findet der Antikriegstag des DGB Niederrhein im Ratssaal am Burgplatz statt. Foto: Petra Grünendahl.
Traditionell gedenkt der DGB Niederrhein am 1. September dem Kriegsbeginn 1939 unter dem Motto „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ mit einer Veranstaltung im Ratssaal der Stadt Duisburg. Oberbürgermeister Sören Link erzählte in seinem Grußwort vom Brief eines heute 92-jährigen ehemaligen australischen Bomberpiloten, der an Städte geschrieben hatte, an deren Bombardierung er im Zweiten Weltkrieg beteiligt war. Er bedauere das Leid, das er über die Zivilbevölkerung gebracht hatte, zutiefst, zitierte Link, mahnte aber, man dürfe die Ursachen nicht ausblenden. Der Krieg sei von Deutschland ausgegangen und habe Leid über die ganze Welt gebracht. DGB-Chefin Wagner forderte zu Recht, die Ursachen von Krieg zu bekämpfen: „Nur Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit können Frieden sichern.“ – „Es gab damals keine Zivilgesellschaft, die gesagt hätte: Nein, das wollen wir nicht“, führte Sören Link eine der Ursachen an die den Zweiten Weltkrieg möglich gemacht hatten: Menschen, die sich nicht von rechten Ideologien distanzierten. „Ich bin froh, dass sich viele Duisburger für Flüchtlinge engagieren. Hier und heute stehen viele auf – in Duisburg und in anderen Städten: Wir sind die Mehrheit!“
Zwei Redner hatte der Duisburger DGB eingeladen, mit ihren Ausführungen Brücken zu schlagen vom Gedenken in die Gegenwart. Neben der Historikerin Anne Ley-Schalles war dies Ünsal Başer, gebürtiger Wanheimerorter und Betriebsrat bei HKM, der von einer Gedenkstättenfahrt der DGB-Jugend nach Auschwitz berichtete.
Jüdisches Leben war und ist Duisburger Leben
Ünsal Başer vermittelte Eindrücke von der Fahrt der DGB-Jugend nach Auschwitz: „„Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit, aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr es nicht wissen wollt“, so Zeitzeugin Ester. Foto: Petra Grünendahl.
Die Ausstellung „Jüdisches Leben in Duisburg 1933 – 1945“ ist untertitelt „Noch viele Jahre lang habe ich nachts von Duisburg geträumt“: Gedanken eines entwurzelten ehemaligen jüdischen Mitbürgers. Die jüdischen Gemeinden waren Teil der Stadtgesellschaft, die Juden lebten „mittendrin“: Ressentiment gab es praktisch nicht. Mit der Machtergreifung der Nazis begann die Entwürdigung und Entrechtung der Juden, die in der Pogromnacht am 9. November 1938 einen Höhepunkt fand. Die Enteignung jüdischer Geschäfte und dann die Deportationen von Juden in den Osten (zumeist Polen) zwischen 1942 und 1945 löschten jüdisches Leben in Duisburg praktisch aus. Die Ausstellungsstücke dokumentieren dies eindrucksvoll. Es ist die erste Ausstellung des neuen Zentrums für Erinnerungskultur, Menschenrechte und Demokratie (ZfE), welches in den Räumen des Kultur- und Stadthistorischen Museums angesiedelt ist. Die Ausstellung läuft noch bis zum 31. Januar 2016.
Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!
Gedenken an die Opfer des Faschismus in Deutschland: Kranzniedelegung am Mahnmal für die 1933 ermordeten Gewerkschafter. Foto: Petra Grünendahl.
„Wir müssen die Jugend an Auschwitz heranführen. Es ist erschreckend, wie wenig heutzutage in der Schule zu dem Thema vermittelt wird“, erklärte Ünsal Başer. Die DGB-Jugend war zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zusammen mit andere Jugendorganisationen – zum Beispiel der evangelischen und katholischen Kirche, einiger Parteien (SPD, Grüne, Linke) sowie Jugendorganisationen aus Österreich und Israel – nach Auschwitz gereist, um dort Vergangenheit aufzuarbeiten. Im Gespräch mit den Jugendlichen äußerte Zeitzeugin Ester: „Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit, aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr es nicht wissen wollt.“ Denn erinnern heißt auch: Dafür sorgen, dass es nicht wieder passiert!
Musikalisch begleitete der Stattchor die Veranstaltung mit Liedern von der Judenverfolgung und als Mahnung gegen den Krieg. Die traditionelle Kranzniederlegung am Mahnmal für die 1933 ermordeten Gewerkschafter an der Ruhrorter Straße 11 rundete die Gedenkveranstaltung ab.
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