„Zeichen gegen den Krieg“ im Duisburger Lehmbruck-Museum

Auf der Suche nach der richtigen Perspektive
Von Petra Grünendahl

Wilhelm Lehmbrucks "Der Gestürzte". Fotos: Petra Grünendahl.

Wilhelm Lehmbrucks „Der Gestürzte“. Fotos: Petra Grünendahl.

Die Bronze-Figur stützt sich auf allen vieren am Boden ab. Auch der kahle Kopf berührt zwischen den Ellenbogen die Erde, steht senkrecht auf dem Boden. Das abgebrochene Schwert, seine stumpf gewordene Waffe, hat er noch in der Hand. Die abstrakt gedehnten Gliedmaße des nackten Körpers, das schemenhaft gezeichnete Gesicht zeigen kein individuelles Geschöpf: Der „Gestürzte“ ist vielmehr beispielhafte Darstellung eines „Geschlagenen“. Erschöpfung, Leiden, ein Gefallener: Ein Mensch, der gescheitert ist … „Er hat keine Rippen und kein Rückgrat“, hatte eine Museumsführerin der Besuchergruppe erzählt. Dem Gestürzten fehlt die Kraft, sich wieder zu erheben. Widerstand leisten gegen die, die ihn zu Fall brachten, kann er nicht mehr.

 Wilhelm Lehmbrucks "Der Gestürzte". Fotos: Petra Grünendahl.

Wilhelm Lehmbrucks „Der Gestürzte“. Fotos: Petra Grünendahl.

Seine Plastik „Der Gestürzte“ hatte der Duisburger Bildhauer Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) im Jahr 1915 für die Gestaltung des Ehrenfriedhof am Kaiserberg eingereicht. Sie traf nicht den Geschmack der Jury, die sich eher einen aufrechten Soldaten und strahlenden Helden vorstellten. Dass Lehmbrucks Kunst später als „entartet“ verfemt war, überrascht da nicht. Der Erste Weltkrieg war der erste große industriell geführte Krieg in Europa. Es war auch der letzte Krieg, beim dem Männer noch mit Enthusiasmus ihrer Einberufung entgegen fieberten und mit Begeisterung in die Schlacht zogen in der Erwartung, das „Kampfspiel“ würde schnell vorbei sein. Seine Verpflichtung als Sanitäter in einem Berliner Kriegslazarett 1914 konfrontierte Wilhelm Lehmbruck mit dem Elend des Krieges. Diese Eindrücke versuchte er, in seiner Kunst zu verarbeiten: Die Kriegsjahre waren seine schöpferischste Schaffensphase. Auch aus Kriegserlebnissen resultierende Depressionen führten ihn schließlich 1919 in den Selbstmord. Der „Gestürzte“ gilt heute als Antikriegsplastik par excellence.

 Wilhelm Lehmbrucks "Der Gestürzte". Fotos: Petra Grünendahl.

Wilhelm Lehmbrucks „Der Gestürzte“. Fotos: Petra Grünendahl.

Lehmbrucks „Gestürzter“ ist der Ausgangspunkt einer Ausstellung, die Kunsthistoriker Thomas Buchardt unter dem Titel „Zeichen gegen den Krieg – Antikriegsplastik von Lehmbruck bis heute“ kuratiert hat. Vorgestellt werden 22 Künstler, die sich mit dem Thema „Krieg“ auseinandersetzen oder auseinandergesetzt haben. Sie alle haben selber Kriegszustände unmittelbar erlebt oder haben einen entsprechenden familiären (Flüchtlings-)Hintergrund. Spannende Biographien entwickeln sich in künstlerischem Ausdruck unterschiedlichster Art. Die Spannweite von fast 100 Jahren, vom Lehmbrucks Werk 1915/16 bis in die Gegenwart, führt dem Besucher vor allem eines vor Augen: Krieg ist nicht Vergangenheit, Krieg ist Gegenwart! Und Krieg ist auch nicht so fern: Nicht erst die Krise in der Ukraine trug den Krieg zurück nach Europa. Schon seit über zwanzig Jahren bekriegen sich die Völker im ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien. Und die Verlierer sind überall die gleichen: Menschen!

Jede Interpretation beginnt mit dem eigenen Standpunkt

 Wilhelm Lehmbrucks "Der Gestürzte". Fotos: Petra Grünendahl.

Wilhelm Lehmbrucks „Der Gestürzte“. Fotos: Petra Grünendahl.

Der Krieg kennt nur Opfer: Tote, Verstümmelte, Traumatisierte und Flüchtlinge, heimatlos gewordene. Die „Kriegshelden“ haben sich schon lange hier eingereiht. Auch sie sind letztendlich Opfer, was die „Zeichen gegen den Krieg“ umso wichtiger macht. Einige von denen, die es erlebt haben, setzen hier diese Zeichen: „Das war zwar einerseits eine schlimme Erfahrung, doch andererseits würde ich sonst nicht das tun, was ich heute tue“, so die aus Beirut stammende palästinensisch-britische Künstlerin Mona Hatoum (*1952). Kriegserfahrungen haben sie alle geprägt, die Künstler: Eigene oder die aus Erzählungen der Eltern, deren Erlebnisse in den Jahren unmittelbar vor der Geburt ihrer Kinder lagen, wie bei Marina Abramović (*1946 in Belgrad) oder dem Vietnamesen Danh Vō (*1975). Oder die im Frühjahr in Afghanistan erschossene Fotografin Anja Niedringhaus (1965-2014), die in den Kriegsgebieten im Nahen Osten nicht die Kriegshelden und siegreichen Soldaten, sondern vor allem die Menschen fotografiert hat. Jeder Künstler bringt seine Erfahrungen in sein „Medium“ gegossen ein. Diese Fülle an Ausprägungen, Stilen und Werken von Künstlern unterschiedlichsten Alters und aus aller Welt stammend macht diese Werkschau zu etwas besonderem.

Kriege: Hot Spots überall auf der Welt

La Grande Galerie: Danica Dakić (*1962 in Sarajevo) inszeniert Roma-Kinder vor einem Druck eines Gemäldes von Hubert Roberts, das den zu Lebzeiten des Künstlers im Bau befindlichen Louvre als Ruine zeigt. Das Gemälde mit dem Roma-Kindern davor ist umrandet vom Elend ihrer realen Lebenswirklichkeit. Fotos: Petra Grünendahl.

La Grande Galerie: Danica Dakić (*1962 in Sarajevo) inszeniert Roma-Kinder vor einem Druck eines Gemäldes von Hubert Roberts, das den zu Lebzeiten des Künstlers im Bau befindlichen Louvre als Ruine zeigt. Das Gemälde mit dem Roma-Kindern davor ist umrandet vom Elend ihrer realen Lebenswirklichkeit. Fotos: Petra Grünendahl.

Der Nahe Osten mit seinen vielen Krisenherden findet sich in vielen Werken wieder und spiegelt die Krisen von unterschiedlichen Seiten: einer deutschen, einer israelischen und einer palästinensischen Sicht beispielsweise. Auch der Anfang der Neunziger Jahre zerbrochene ehemalige Vielvölkerstaat Jugoslawien bietet mit Ansichten von Kroaten, Bosniern oder Serben die ganze Bandbreite der Opfer von kriegerischen Auseinandersetzungen. Sieger? Gibt es nicht! Tod, Verstümmelung, Traumata und das Elend der Überlebenden sind die Früchte des Krieges. Überall.

Atmosphärische Präsentationen

Duane Hansons "War" oder auch "Vietnam Piece". Fotos: Petra Grünendahl.

Duane Hansons „War“ oder auch „Vietnam Piece“. Fotos: Petra Grünendahl.

Die dämmerige Beleuchtung lässt die Toten und Verletzten auf dem Schlachtfeld in Vietnam besonders real wirken, obwohl Details der Figuren im Dunkeln verschwinden. Der amerikanische Künstler Duane Hanson (1925-1996) hatte sein drastisches Werk „War“ 1967 konzipiert, als „Vietnam Piece“ kam es in den Siebziger Jahren erstmals nach Duisburg. Detailliert ausgearbeitete lebensgroße Figuren liegen auf einem Geröllfeld. Geschosspatronen und Handgranaten fehlen: Sie waren damals auf dem Weg nach Duisburg bei der Einreise nicht durch den Zoll gekommen. Die Toten und Sterbenden aus Hansons „Skulptur“ sind zeitlos: Jeder Krieg wird sie von neuem schaffen. Die Bilder vom Schrecken des Krieges wiederholen sich – wieder und immer wieder.

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Die M16 ist das Gewehr der amerikanischen Streitkräfte in Korea, Vietnam, Golfkrieg und auch heute ist es noch im Einsatz. „America’s Finest“ ist Lynn Hershman Leesons (*1941) Version dieser Waffe: Wer das umgebaute Gewehr in die Hand nimmt, sieht durch die Zielvorrichtung Bilder – auch bewegte Bilder – von Soldaten, Kriegsszenen, Kinder im Fadenkreuz des Suchers. Drückt man den Abzug, erscheint die eigene Silhouette mit der Waffe in der Hand im Bild, wird man Teil der Handlung. Zeitweise blickt der Beobachter in sein eigenes Gesicht, wird als Soldat an der Waffe Täter und Opfer zugleich.

Wolf Vostells "Street Corner Execution" (1971). Fotos. Petra Grünendahl.

Wolf Vostells „Street Corner Execution“ (1971). Fotos. Petra Grünendahl.

Wie auch andere Räume dieser Ausstellung, ist dieser Raum eher schummrig beleuchtet. Das lässt die hellen Bilder umso konzentrierter wirken. Im gleichen Raum befindet sich die Video-Installation „Tropen des Krieges“ von Harun Farocki (1944-2014) und seiner Frau, der Künstlerin und Autorin Antje Ehmann (*1968). Auf fünf Bildschirmen sind Szenen aus Kriegsfilmen zusammengeschnitten: von actionreichen Luftkampfszene und Kampfhandlungen bis zu den leisen Momenten des Krieges, in denen die Krieger auf sein Ende hoffen. Da wirkt Krieg fast schon sauber und steril, wenn der Betrachter geschützt vor dem Fernseher oder der Leinwand sitzt. Da vergisst man nur zu leicht: Krieg ist schmutzig, Krieg zerstört.
 
 

Das Trauma der eingestürzten Türme

Obwohl New York City weit weg ist, berührte der Terror von „9/11“ die Menschen in Westeuropa vielleicht mehr und unmittelbarer als der Krieg in Jugoslawien. Mit der Postkarten-Edition „Cosmos und Damian“ hatte Joseph Beuy (1921-1986) schon 1974 ein Zeichen gesetzt gegen die kapitalistischen Kälte, die die Zwillingstürme des World Trade Center schon damals symbolisierten. Zwei Fett-Stelen, die der Düsseldorfer Künstler an ihrer Stelle setzte, stehen für soziale Wärme.

Ivan Navarro: "Untitled (Twin Towers)". Fotos: Petra Grünendahl.

Ivan Navarro: „Untitled (Twin Towers)“. Fotos: Petra Grünendahl.

Auch die Lichtinstallation von Iván Navarro (*1972) „Untitled (Twin Towers)“ ist eine Hommage an das verschwundene Symbol der Finanzwirtschaft in New York. Der heute in New York City lebende Chilene ist in der Pinochet-Diktatur aufgewachsen und thematisiert politische, ökonomische und gesellschaftliche Unterdrückung. Seine „Twin Towers“ erheben sich nicht über dem Boden, sondern senken sich tief in ihn hinein. Der Betrachter fällt quasi in ein Loch, so echt wirkt die optische Täuschung durch Licht und Spiegel, bis man am Ende der Türme die gespiegelte Decke des Museum erblickt.

 Wilhelm Lehmbrucks "Mutter und Kind". Fotos: Petra Grünendahl.

Wilhelm Lehmbrucks „Mutter und Kind“. Fotos: Petra Grünendahl.

Im Foyer des Erweiterungsbaus, in dem das Lehmbruck Museum die „Zeichen gegen den Krieg“ präsentiert, stehen die Skulpturen des Vietnamesen Danh Vō (*1975). Seine Familie war 1979 als Boatpeople von einem dänischen Schiff gerettet worden. In Dänemark aufgewachsen, hat er erst in Dänemark und dann in Deutschland Kunst studiert. Fünf groß dimensionierte Bauteile, die Teil einer 1:1-Nachbildung der Freiheitsstatue sind: Sie bestehen aus dünnen Kupferplatten und sind auf Kupfergerüste gezogen. Die insgesamt 250 Teile werden nie zusammen ausgestellt, sondern über die ganze Welt verstreut. Mit dem Titel des Werks – „We the people“ – aus der Präambel der amerikanischen Verfassung keimt Hoffnung: Das Ideal der westlichen Welt von der Freiheit, Gleichheit und dem individuellen Streben nach Glück. Dieser Anspruch als Essenz des Menschlichen ist ebenso fragil wie das Material der Skulptur.
Gil Shachars "Untitled" (l.), Jota Castros "Zeitgeist" (r.).

Gil Shachars „Untitled“ (l.), Jota Castros „Zeitgeist“ (r.).

Die Ausstellung
„Zeichen gegen den Krieg“

Auch wenn die Sonderausstellung unter dem Titel „Antikriegsplastik“ steht, sind hier weit mehr als nur Skulpturen zu sehen. Die Ausstellungsstücke decken die ganze Bandbreite dessen ab, was heutzutage unter Kunst verstanden wird: Bilder und Fotos, Skulpturen, Installationen, Videos und Aktionskunst (Performance) … Biographien der Künstler erleichtern die Einordnung der Werke, allerdings geben sie manchmal vielleicht schon etwas viel Interpretation vor.

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Vorne die Täter: Wolfgang Büttner thematisierte in "Drei Versuche über Nürnberg" die Kriegsverbrecherprozesse. Hinten Gil Shachar, ein anderes Opfer: "Untitled". Fotos: Petra Grünendahl.

Vorne die Täter: Wolfgang Büttner thematisierte in „Drei Versuche über Nürnberg“ die Kriegsverbrecherprozesse. Hinten Gil Shachar, ein anderes Opfer: „Untitled“. Fotos: Petra Grünendahl.

Noch bis zum 7. Dezember 2014 läuft die Ausstellung im Rahmen eines Projekts des Landschaftsverbands Rheinland im Lehmbruck Museum, Friedrich-Wilhelm-Straße (Kantpark) in 47051 Duisburg. Unter dem Titel „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“ (www.rheinland1914.lvr.de) erinnern Museen und Kultureinrichtungen im Rheinland in Ausstellungen und Veranstaltungen an den Beginn des Ersten Weltkrieges.
 Wilhelm Lehmbrucks "Der Gestürzte". Fotos: Petra Grünendahl.

Wilhelm Lehmbrucks „Der Gestürzte“. Fotos: Petra Grünendahl.

Ein Rahmenprogramm im Lehmbruck Museum mit Filmabenden, speziellen Workshops und Führungen auch für Schulklassen sollen sowohl die Erfahrungswelten der Künstler und die künstlerische Umsetzung des Themas „Krieg“ noch einmal auf anderen Ebenen transportieren.
Mittwochs bis samstags ist das Museum ab 12 Uhr geöffnet, sonntags ab 11 Uhr. Die Öffnungszeiten gehen bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. An Feiertagen gelten ggf. besondere Öffnungszeiten. Regulär kostet der Eintritt 8 Euro, ermäßigt 5 Euro. Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre in Begleitung von Angehörigen sowie Schulklassen und Kindergärten pro Person 2 Euro (gilt nur für Selbstführergruppen), eine Familienkarte gibt es für 15 Euro.

 

Wilhelm Lehmbrucks "Stürmender / Getroffener" (1914/15). Fotos: Petra Grünendahl.

Wilhelm Lehmbrucks „Stürmender / Getroffener“ (1914/15). Fotos: Petra Grünendahl.

Weitere Informationen
gibt es unter tickets@lehmbruckmuseum.de, Telefon 0203 / 283-2195 oder www.lehmbruckmuseum.de.
(*) Ermäßigung erhalten gebuchte Gruppen, Selbstführer ab 20 Personen, Menschen mit Behinderung (ab 70%), Schüler & Studenten, Wehr- & Zivildienstleistende sowie Menschen mit Sozialhilfebezug.

© 2014 Petra Grünendahl (Text und Fotos)

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