Wenn der Blick zurück zur Qual wird
Die Angst kommt oft ganz unvermittelt: im Gedränge auf dem Wochenmarkt, beim Anstehen an der Kinokasse oder in der überfüllten Bar. Das muss nicht direkt nach der Katastrophe sein: Monate oder Jahre später kann ein an sich harmloses Ereignis wie das Martinshorn eines Rettungsfahrzeugs draußen vor dem Haus der Auslöser sein. Die Enge, die Schreie – plötzlich sind die Erinnerungen an die schrecklichen Geschehnisse wieder präsent.
Hunderttausende Musikfans machten sich am 24. Juli 2010 auf den Weg zur Duisburger Loveparade. Doch statt der größten Party des Kulturhauptstadtjahres Ruhr 2010 erlebten sie eine Massenpanik mit 21 Toten und mehr als 500 Verletzten. Ein Unglück, das nicht nur körperliche Narben hinterlässt. Nach einer Katastrophe wie der in Duisburg erleiden nicht nur Opfer (körperlich Verletzte) und Helfer häufig akute Belastungsreaktionen. Auch viele Anwesende, die körperlich ungeschoren davon kommen, stellen früher oder später fest, dass die Katastrophe an ihnen nicht spurlos vorbeigegangen ist. Was sie gesehen haben, bricht irgendwann wieder hervor und lässt sie dann nicht mehr los.
„Schon einfache Sinneswahrnehmungen wie Gerüche, Bilder oder Geräusche können traumatische Erlebnisse wieder ins Bewusstsein Betroffener rücken“, erklärt Dr. Hermann Paulus, Chefarzt der Oberbergklinik Weserbergland in Extertal-Laßbruch, die auf die Behandlung von Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen, Burn-out sowie Angst- und Panikstörungen spezialisiert ist.
Zwar verfüge jeder Mensch über Selbstheilungskräfte, die helfen, bestimmte Erfahrungen zu überwinden, doch „sofern das auslösende Erlebnis zu intensiv war, kann es leicht zu Trauma-Folgeschäden kommen“, erklärt Dr. Paulus. Wer mit starken oder lang anhaltenden Symptomen kämpft, sollte sich fachärztliche Hilfe suchen. „Mit einer professionellen Trauma-Therapie sind die Aussichten sehr gut, das Erlebte erfolgreich zu verarbeiten“, betont der Chefarzt.
Viele Traumatisierte der Loveparade haben schon mehr als eine Therapie hinter sich. Sie beklagen häufig, dass sie von Versicherungsträgern zu Therapeuten geschickt wurden, die nicht auf posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) spezialisiert waren. Diese Therapien waren nach Aussagen der Betroffenen wenig hilfreich, weil sie den Kern ihren Problems nicht tangierten. Therapie ist nicht gleich Therapie, und die Therapie beim Spezialisten durch nichts zu ersetzten, auch wenn Krankenkassen lieber auf den Euro schielen … Deswegen raten auch die unabhängigen Berater oder andere Betroffene den Loveparade-Opfern, die immer noch Hilfe brauchen, zum Spezialisten zu gehen.
Vorsätzliche Taten schaden am meisten
Ob jemand Opfer von Gewalt oder Zeuge einer Katastrophe wird, einen schweren Unfall erleidet oder lebensgefährlich erkrankt: Eine Traumatisierung kann viele Ursachen haben – und tiefe seelische Wunden reißen. Wie sehr die durchlebten Geschehnisse der Psyche schaden, ist von verschiedenen Umständen abhängig. Wie alt sind die Betroffenen? Wie stabil sind ihre sozialen Beziehungen? Sind sie durch ähnliche Ereignisse vorbelastet? All das beeinflusst den Umgang des Gehirns mit bedrohlichen Situationen. „Schon ein stabiles soziales Umfeld hilft Betroffenen, mit traumatischen Erlebnissen besser fertig zu werden“, sagt Dr. Paulus. Aber auch die Art des auslösenden Geschehens spielt eine Rolle. So verläuft der Heilungsprozess bei Vergewaltigungsopfern oder Kriegsverletzten langsamer als bei Opfern von Verkehrsunfällen. „Menschen, die Opfer vorsätzlicher Gewalt wurden, bewahren oft ein tiefes Misstrauen gegenüber anderen“, erklärt der Experte.
Schleichende Gefahr für Beziehung und Karriere
Bei etwa 25 Prozent der Personen, die eine existenziell bedrohliche Situation erlebt haben, entwickelt sich ohne psychologische Unterstützung eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Die Symptome der Folgeerkrankung sind vielschichtig: Schlafstörungen, Konzentrationsschwächen, Emotionslosigkeit, Überreiztheit und starke Muskelverspannungen können auf eine PTBS hindeuten.
Besonders bedrohlich für das Privatleben wird ein Trauma, wenn sich die Betroffenen zurückziehen. „Häufig habe Betroffene mit sogenanntem Vermeidungsverhaltens zu kämpfen. Dabei schützen sich Patienten vor inneren und äußeren Reizen, um nicht mehr an das Trauma erinnert zu werden“, erklärt Dr. Paulus. Doch die Rechnung geht selten auf. Wer sich isoliert, verstärkt das Gefühl, mit seinen Erlebnissen allein zu sein und von anderen nicht verstanden zu werden – eine Zerreißprobe für Beziehung, Freundschaften und soziale Bindungen. Auch das Berufsleben leidet: Viele Traumatisierte reagieren am Arbeitsplatz übersensibel, geraten in Konflikte mit Kollegen und bekommen Probleme mit ihren Vorgesetzten.
Heilsame Innenschau
Damit es gar nicht erst soweit kommt, kann eine Trauma-Therapie eine heilsame Selbstreflexion ermöglichen. „Betroffene nehmen ihre eigenen Gefühle sogar als unsinnig oder verrückt war. Wir müssen ihnen zeigen, dass sie auf unnormale Ereignisse normal reagieren“, ergänzt der Chefarzt. Der Weg, mit dem Erlebten umgehen zu können, ist allerdings nicht einfach. Früher oder später müssen sich die Patienten ihren Erfahrungen stellen. Nach einer Stabilisierungsphase, in der die Therapeuten ihnen Sicherheit vermitteln, heißt das: kontrollierte Konfrontation. Dr. Hermann Paulus ist sich sicher, dass darin der Schlüssel zum Erfolg liegt: „Nur wenn Sie traumatischen Erinnerungen aktiv begegnen, haben Sie eine Chance, den Alltag zu bewältigen – und wieder zurück ins Leben zu finden.“
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Die Oberbergkliniken
Die Oberbergkliniken sind Ansprechpartner für Menschen mit Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen, Burn-out, Angst- und Panikstörungen. In den Akutkliniken wird eine intensive, individuelle und innovative Psychotherapie nach dem Oberberg-Konzept angeboten. Im Vordergrund des Heilungsprozesses stehen das persönliche emotionale Profil und der achtsame Umgang mit den inneren Ressourcen der Patienten. Die Oberbergkliniken arbeiten nach dem Prinzip eines integrativen Konzepts, das die Bereiche Gesundheit, Medizin und Gesellschaft verbindet. Die Selbstverantwortung und die Persönlichkeitsentwicklung der Patienten werden gefördert. Das Therapeuten-Patienten-Verhältnis ist mit 1:2 optimal und gewährleistet die dem Konzept entsprechende Therapiedichte.
Die Kliniken sind an den Standorten Wendisch Rietz in Brandenburg, Hornberg im Schwarzwald und in Extertal-Laßbruch im Weserbergland vertreten. Darüber hinaus wird in den zentral gelegenen Oberberg-City-Berlin, München und Trier zusätzlich eine prä- und poststationäre psychotherapeutische Behandlung angeboten. Die Oberbergkliniken bieten Hilfe bei der Kostenklärung an. Weiterführende Informationen finden Sie unter: www.oberbergkliniken.de.
© 2013 Petra Grünendahl nach einer Pressemitteilung der Oberbergkliniken
Fotos: Oberbergkliniken, Loveparade-Fotos eingebunden von Loveparade2010doku.wordpress.com (von findling99 und roma)