Gastredner Prof. Julian Nida-Rümelin:
Wir müssen verteidigen, was unsere Wirtschaft stark macht
Von Petra Grünendahl
Neujahrsempfang 2016 der Niederrheinischen IHK mit Gastredner Prof. Dr. Dr. h.c. Julian Nida-Rümelin (im Theater am Marientor TaM in Duisburg)
Foto: Petra Grünendahl,
IHK-Präsident Burkhard Landers begrüßt die Gäste zum Neujahrsempfang 2016 der Niederrheinischen IHK mit Gastredner Prof. Dr. Dr. h.c. Julian Nida-Rümelin (im Theater am Marientor TaM in Duisburg). Foto: Petra Grünendahl,
Duale Ausbildung ist Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg
Der arg verschulte „Bachelor“ an deutschen Universitäten verträgt sich kaum mit dem deutschen Bildungsideal von akademischer Forschung und Lehre, von der Freiheit einer humanen (und humanistischen) Bildung. Länder mit höherer Akademikerquote haben nicht das Humboldtsche Bildungsideal. Wenn in Amerika ein High-School-Absolvent ein zweijähriges Community-College mit einem Bachelor abschließt, entspricht das hier einem Abitur. In Amerika hingegen gilt er als Akademiker. Eine berufliche Ausbildung wie in Deutschland gibt es überhaupt nicht. Eine abgeschlossene Berufsausbildung ebnet in Deutschland vielen Menschen den Weg in den Mittelstand. In den USA oder Großbritannien ist der Abschluss eines Studiums die Voraussetzung für den Einstieg in die Mittelschicht, während andere – Angelernte und Ungelernte – zur Unterschicht zählen.
Neujahrsempfang 2016 der Niederrheinischen IHK mit Gastredner Prof. Dr. Dr. h.c. Julian Nida-Rümelin (im Theater am Marientor TaM in Duisburg). Foto: Petra Grünendahl,
Fachkräfte sind überwiegend Facharbeiter
Wenn die deutsche Wirtschaft von „Fachkräftemangel“ spricht, sind natürlich in manchen Bereichen auch Akademiker gemeint, aber überwiegend sind es Facharbeiter und Fachangestellte, Menschen, die in der Praxis ausgebildet wurden. Gerade sie gehen in vielen Branchen in höheren Zahlen in Rente als Nachwuchs da ist zum Ausbilden. Die Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung drängt es zunehmend an die ohnehin schon überfüllten Universitäten. Zu wenig wird ihnen (und ihren Eltern) klar gemacht, dass gut verdienende Facharbeiter durchaus deutlich mehr verdienen als Universitätsabsolventen. Solche Facharbeiter sind vor allem dort gefragt, wo das Herz der deutschen Wirtschaft schlägt: im Mittelstand. Auch dies ist eine deutsche Eigenart, die die Stärke der deutschen Wirtschaft ausmacht: Eine mittelständische Industrie, bei dem es einige Unternehmen in ihren Branchen durch ihre Innovationskraft zu Weltmarktführern gebracht haben. Der Mittelstand, nicht die Großindustrie ist der Jobmotor der deutschen Wirtschaft. Die französische und britische Wirtschaft kennzeichnet vor allem eins: Deindustrialisierung, eine weitgehende Verlagerung der Erwerbstätigkeit in den Bereich Dienstleistungen. Die Industrienation Deutschland mit ihrer konsensorientierten Mitbestimmung ließ andere Nationen weltweit in der letzten großen Wirtschaftskrise 2008/2009 mit seiner Krisenbewältigung sehr alt aussehen.
Warnung vor „Reformitis“ und „Helikopterpolitik“: IHK-Präsident Burkhard Landers begrüßt die Gäste zum Neujahrsempfang 2016 der Niederrheinischen IHK mit Gastredner Prof. Dr. Dr. h.c. Julian Nida-Rümelin (im Theater am Marientor TaM in Duisburg). Foto: Petra Grünendahl,
Diesen Standortvorteil darf die Politik nicht verspielen. Die „Reformitis“ in Sachen Bildung, Ausbildung und Akademisierung mache ihm Sorgen, sagte Nida-Rümelin. Eine humane Bildung wäre das nicht, denn die würde Fähigkeiten und Fertigkeiten des Einzelnen fördern, was passgenau zu den Anforderungen der mittelständisch geprägten deutschen Wirtschaft sei. Die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland sei der Beleg dafür! Ebenso wenig darf die Politik, um den Bogen zur Begrüßungs-Rede von IHK-Präsident Landers zu schlagen, mit (im Vergleich zu anderen Ländern) übertriebenen Umweltauflagen die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich schwächen. Landers forderte zur Abkehr von einer „Helikopterpolitik“ auf: „Wir brauchen eine Politik, der wir vertrauen können.“ Verlässlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Nachhaltigkeit nannte der Weseler Unternehmer als Richtschnur: „Die Wirtschaft braucht Berechenbarkeit und tragfähige Lösungen, die auch zur Sicherung unserer Wettbewerbsfähigkeit beitragen“, so Landers.
*) OECD = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Prof. Julian Nida-Rümelin belegte seinen Vortrag zum Akademisierungswahn mit Zahlen. Hier eine Auswahl:
© 2016 Petra Grünendahl (Text und Fotos)