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Ein Abend an der Rampe

Alter Güterbahnhof, provisorische Gedenkstätte am unteren Ende der Rampe zur Karl-Lehr-Straße, Foto: Petra Grünendahl

Alter Güterbahnhof, provisorische Gedenkstätte am unteren Ende der Rampe zur Karl-Lehr-Straße, Foto: Petra Grünendahl

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Ich war nicht das erste Mal an der Rampe, aber es war das erste Mal abends … und das erste Mal an einem 24. des Monats. Ich wusste, dass ich bei dieser Gelegenheit Leute treffen würde, die regelmäßig dort sind. Jeden Monat am 24. mit einer Aktion und ansonsten täglich zur Pflege der provisorischen Gedenkstätte. Die provisorische Gedenkstätte hatten sie vor über einen Jahr angelegt, nachdem bei der Loveparade auf dem Gelände des Alten Güterbahnhofs auf der Zugangsrampe 21 junge Menschen gestorben waren. Zum Einbruch der Dunkelheit zünden Mario, Johann und Willi heute im Tunnel auf beiden Seiten Kerzen an: Licht im Tunnel.

Seit dem 27. Juli 201 ist die Gruppe um Kornelia Hendrix dort aktiv. Die nennen sich „Never Forget den Opfern der Loveparade“. Seit Februar sind sie ein eingetragener Verein und gemeinnützig. Sie wollen jenen eine Heimat und einen Ort geben, die der Katastrophe gedenken. Dieser Kreis ist groß. Und er beschränkt sich nicht auf die Angehören und Hinterbliebenen der Opfer (Toten) oder auf die Verletzten und Traumatisierten. Das macht dieser Abend an der Rampe – mehr als frühere Besuche dort – deutlich.

Dieser Ort hier ist wichtig! Hier gedenken die Menschen – nicht gute 300 Meter weiter, wo das „Mahnmal“ steht. Zur Rampe kommen eine ganze Reihe unterschiedlichster Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen … an diesem Abend wie an so vielen anderen Tagen und Abenden auch. Manche fahren auch nur vorbei, bremsen, gucken und fahren weiter, wenn sie Leute vor Ort sehen. Es gibt viele, die nur im Dunkeln kommen und alleine sein wollen an diesem Ort. Hat es übrigens von Anfang gegeben, hatte mir damals einer der Notfallseelsorger erklärt – in den ersten Tagen „danach“ …

 

Die Trauer zeigt ein Gesicht

Dieser Ort, die Rampe, ist zumindest an manchen Stellen nicht mehr so trostlos und dreckig wie am 24. Juli 2010. Die frische, gepflegte Rasenfläche, die leuchtenden Blumen, die täglich gegossen werden, geben der Stelle des Unglücks heute ein freundlicheres Bild. Grableuchten, Fotos der Verstorbenen, Briefe und Trauergaben – man spürt die Trauer der Menschen an diesem Ort. Auf den Stufen der steilen Treppe stehen 21 Holzkreuze mit den Vornamen der Toten.

Offene Briefe neben den Fotos belegen die Trauer der Angehörigen – und ihre Wünsche: „Jetzt können wir nur noch […] darum kämpfen, dass eine würdige Gedenkstätte genau hier entsteht, wo unsere Kinder in der tödlichen Enge mit all ihrer Kraft vergeblich um ihr Leben gekämpft haben“, steht dort zum Beispiel geschrieben. Die Zeilen stammen von den Eltern eines getöteten damals 21-Jährigen – zum Heiligabend 2010 … Weiter rechts daneben ist eine rechteckige Steinplatte in den Boden eingelassen. Darauf steht das Foto einer damals 21-jährigen Frau mit ein paar Zeilen ihrer Angehörigen, Blumen, Grabkerzen – auch hier lebendiges Gedenken an einen geliebten Menschen!

Auf der anderen Seite der Rampe ist die Zeit stehen geblieben: Ungepflegt und dreckig, verdorrte Gräser. So sah es dort schon vor einem Jahr aus, auch am 24. Juli 2010. So sähe die ganze Rampe aus, wenn sie lediglich als historischer Ort erhalten bliebe – „roh und ungestaltet“, wie Lothar Evers in mehreren Foren-Diskussionen geäußert hat. Lothar Evers steht als „V.i.S.d.P.“ (Verantwortlich im Sinne des Presserechts) unter einem „Appell der Angehörigen und Hinterbliebenen“. Außerdem ist er Ehrenmitglied bei Massenpanik-Selbsthilfe e. V. „Roh und ungestaltet“ – so fordert es genau genommen, wenn auch nicht wörtlich, der „Appell der Angehörigen und Hinterbliebenen“: Nur die Rampe als historischer Ort. Eine Gedenkstätte an diesem Ort ist in dem Appell nicht erwähnt. Die kahle Rampe. Tot. Unwirklich. Kalt. Schäbig. Nicht einmal Friedhöfe sehen so trostlos und … leblos aus!

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Angehörige kommen regelmäßig
Angehörige der Verstorbenen waren an diesem Abend nicht da. „Einige von ihnen erscheinen hier aber regelmäßig“, erzählt Dirk Schales, zweiter Vorsitzender von Never Forget. Er ist häufig hier, mehrmals die Woche. Andere aus seinem Verein sogar täglich: Die Blumen wollen gegossen, die Kerzen wieder neu angezündet werden. Die „Nevers“ kennen die Angehörigen der Opfer ebenso wie andere regelmäßige Besucher dieses Ortes der Trauer und des Gedenkens.

Inwieweit unter den Besuchern dieses Abends Verletzte oder Traumatisierte sind, ist nicht auszumachen. Nicht mit jedem kann man sprechen. Manche wollen kein Gespräch, bleiben allein oder „unter sich“, wenn sie zu mehreren kommen. Unter sich bleibt zum Beispiel eine Gruppe mit zwei jungen Mädchen und einem jungen Mann. Das eine Mädchen scheint – ihrer Gestik nach zu urteilen – bei der Loveparade und möglicherweise auch zur Unglückszeit auf der Rampe dabei gewesen zu sein …

Manch einer aus der näheren Umgebung ist – genau wie ich – nicht zum ersten Mal hier. Viele Menschen kommen hierher zum Gedenken, zur Trauer, ohne bei der Loveparade gewesen zu sein. Was geschehen ist, hat dennoch auch bei ihnen Spuren hinterlassen. Sie suchen diesen Ort auf, weil dieser Ort für die Katastrophe steht. Für Tote, Verletzte und … vielleicht auch für das Versagen einer Verwaltung, deren oberster Chef bis heute seiner Verantwortung nicht gerecht wird.

Andere kommen – allein oder in Begleitung – zum ersten Mal. Diejenigen, mit denen man ins Gespräch kommt, wundern sich, wie klein die Rampe eigentlich ist. Im Fernsehen und auf den Zeitungsfotos sah alles viel größer aus, breiter, geräumiger. Die Weitwinkelobjektive der Kameras haben die Bilder des Geschehens verzerrt: Medienwirklichkeit trifft Realität.

 

Ort der Stille – aber auch der Kommunikation

Einige Menschen wollen reden. Müssen in Worte fassen, was sie bewegt. Wir kommen mit zwei Ehepaaren mittleren Alter ins Gespräch. Die eine Frau stammt aus Rheinhausen und hat vor Jahrzehnten nach Süddeutschland geheiratet. Die Katastrophe des letzten Jahres hat sie und ihren Mann sehr erschüttert. Duisburg war schließlich ihre Heimat. Natürlich interessiert sie, wie es nach der Loveparade in Duisburg weiterging. Sie wollen wissen, was hier mit der Rampe passieren wird. Dass ein „gewisser Personenkreis“ die Rampe liebend gerne zuschütten möchte (damit alle Spuren der Katastrophe beseitigt und begraben werden), lässt die beiden Paare ebenso mit dem Kopf schütteln wie die Tatsache, dass der verantwortliche Oberbürgermeister immer noch im Amt ist. Von „Amt und Würden“ kann man angesichts des laufenden Abwahlverfahrens ja wohl nicht mehr sprechen. Dass dieses immerhin läuft, lässt die „Süddeutschen“ dann doch wieder an Gerechtigkeit glauben … 😉

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© 2011 Petra Grünendahl (Text und Fotos)

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