Oper am Rhein: Premiere von Benjamin Brittens „Death in Venice“ begeisterte im Theater Duisburg

Von der Schönheit zum Verfall und zum Tod

Raymond Very (Gustav von Aschenbach), Peter Savidge (Der Reisende). Foto: Hans Jörg Michel.

Raymond Very (Gustav von Aschenbach), Peter Savidge (Der Reisende). Foto: Hans Jörg Michel.

Der alternde Schriftsteller Gustav von Aschenbach (Raymond Very) steckt in einer Schaffenskrise. Ein Reisender (Peter Savidge) rät zur Reise in den Süden. Aschenbach folgt dem Rat und landet per Schiff in Venedig. Ein ältlicher Geck auf der Schiffspassage, ein Gondoliere in Venedig, Hotelmanager oder Friseur – in vielen Rollen taucht Bariton Peter Savidge als Gegenpart zu Verys Aschenbach (Tenor) immer wieder auf, begleitet Aschenbachs Weg in den eigenen Verfall. Ein großartiger Raymond Very glänzte in der Hauptrolle, nicht minder beeindruckend sein Gegenspieler Peter Savidge als zweite tragende Rolle mit vielen Gesichtern.

Schiffspassage nach Venedig: Raymond Very (Gustav von Aschenbach) vorne links, Peter Savidge (ältlicher Geck) daneben, dahinter Ensemble. Foto: Hans Jörg Michel.

Schiffspassage nach Venedig: Raymond Very (Gustav von Aschenbach) vorne links, Peter Savidge (ältlicher Geck) daneben, dahinter Ensemble. Foto: Hans Jörg Michel.

Nah an der Vorlage “Der Tod in Venedig” von Thomas Mann blieben er britische Komponist Benjamin Britten und seine walisische Texterin Myfanwy Piper (Libretto) bei der Umsetzung in die Oper „Death in Venice“, Zum Saisonende feierte sie am Theater Duisburg ihre Premiere, nachdem sie zuvor in Düsseldorf begeistert hatte. Die vielschichtige Erzählung des deutschen Schriftstellers ist hier sehr verdichtet. Man erkennt aber sowohl in der Handlung, den Dialogen als auch im Bühnenbild und den Kostümen die Ideenstränge wieder, die Mann in seinem Werk verwoben hat. Auch in seiner letzten Oper hatte Benjamin Britten (1913 – 1976) die Hauptrolle, Gustav von Aschenbach, seinem Lebensgefährten Peter Pears auf den Leib geschrieben, der sie nicht nur bei der Uraufführung 1973 sang. Die Oper „Death in Venice“ bildet den Abschluss des Britten-Zyklus, den die Deutsche Oper am Rhein 2013 anlässlich des 100. Geburtstages des britischen Komponisten aufgenommen hatte (siehe auch: „Peter Grimes“ sowie die Kinderoper „Arche Noah“).

Askese versus Extase

Jarod Rödel (Tadzio). Foto: Hans Jörg Michel.

Jarod Rödel (Tadzio). Foto: Hans Jörg Michel.

Der Asket Aschenbach ist ein Muster an Selbstdisziplin, der die „Schönheit“ in seinen Werken immer nur in Worte fasste. „Schönheit“ erlebte er vergeistigt als göttliches Ideal, näherte sich ihr aber nie gefühlsmäßig. In Venedig, einer Stadt, die Thomas Mann wegen ihrer „Todesvornehmheit“ liebte, fällt Aschenbach in seinem Hotel der hübsche Junge Tadzio (Jarod Rödel) auf, der dort mit seiner Familie und seinem Freund Jaschiu (Nikolai Petrak) weilt. Die beiden jungen Tänzer sind Schüler der Staatlichen Ballettschule Berlin.
Von der Bewunderung für seine Schönheit gleitet Aschenbach immer weiter ab, sich in den Jungen zu verlieben – von der Askese in die Leidenschaft. Oder doch eher Besessenheit? Gleichzeitig fällt Venedig immer weiter seiner Seuche zum Opfer, die Cholera greift schließlich auch Aschenbachs Gesundheit an. Die Touristen fliehen reihenweise aus der Lagunenstadt. Aschenbach aber bleibt …

Auch für „Death in Venice“ holte man Regisseur Immo Karaman, dessen Inszenierungen auch bei anderen Britten-Stücken („Peter Grimes“, „Billy Budd“ zu sehen waren. Für die Choreographie zeichnet Fabian Posca verantwortlich, mit dem Karaman schon früher zusammen gearbeitet hatte. Tadzio und sein Freund Jaschiu sowie Rest der Familie sind als Tänzerfiguren ausgelegt. So lösten Britten und Piper Manns Vorgabe, dass sich Aschenbach und Tadzio nie direkt begegnen. Aschenbachs Bewunderung gedeiht in der Ferne. Er bleibt der apollinischen Askese verhaftet, während sein „reisender“ Gegenspieler – auch als Stimme des Dionysos (Gott des Weines) – eher die leidenschaftliche, ausgelassene Welt symbolisiert. Als Stimme des Apollo setzt hier Countertenor* Yosemeh Adjei einen glänzenden Gegenpart.

Bühne und Kostüme unterliegen ebenfalls dem Verfall

Raymond Very (Gustav von Aschenbach). Foto: Hans Jörg Michel.

Raymond Very (Gustav von Aschenbach). Foto: Hans Jörg Michel.

Genial spiegelt das Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer die Handlung. Herz der Geschichte ist ein kleiner Raum, der wieder und wieder Aschenbachs Einsamkeit herausstellt, auch wenn andere Akteure dort zugegen sind. Drum herum ist das Hotel Lido, das mal wieder eine Renovierung vertragen würde. Je weiter die Handlung fortschreitet – wie auch die Seuche in Venedig –, um so mehr verfällt alles. Hinter den Hotelwänden tauchen mehr und mehr die Wände einer pompösen Villa auf, vom Verfall und vom Schimmel gezeichnet. Morbidität, Siechtum, Verfall, Tod.
Analog zum Verfall im Bühnenbild wirken auch die Kostüme von Nicola Reichert immer heruntergekommener und schäbiger, je weiter die Handlung voran schreitet. So bietet die Erdbeer-Verkäuferin (Alma Sadé) im ersten Akt mit ihren frischen Früchten einen jungen, gesunden Anblick. Später verkauft sie überreife faulige Erdbeeren in zerlumpten Kleidern als alte Frau. Die Symbolik ist beispielhaft.

Tiefgründige Unterhaltung

Jarod Rödel (Tadzio). Foto: Hans Jörg Michel.

Jarod Rödel (Tadzio). Foto: Hans Jörg Michel.

Die Oper, die Britten in zwei Akten konzipiert hat, bietet drei Stunden (inklusive Pause) künstlerisch hervorragende und anspruchsvolle Unterhaltung, die die Zuschauer mit begeistertem Applaus belohnten. Im Orchestergraben agierten ausnahmsweise die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Lukas Beikircher. Sie hatten die Oper für fünf Vorstellungen in Düsseldorf einstudiert, so dass sie die beiden Aufführungen in Duisburg gleich mit übernahmen. Die Gast-Pianistin Dagmar Thelen begleitet insbesondere die Solopartien Aschenbachs, gibt Aschenbach ein instrumentales „Gesicht“. Den jungen Tadzio dagegen symbolisieren metallische, durch das Vibrafon geprägte Klangfarben. Neben vielen Ensemble-Sängern, die hier zum Teil in mehreren kleinen Rollen auf der Bühne stehen, brilliert auch der Chor der Deutschen Oper am Rhein unter der Leitung von Christoph Kurig.

Leider ist nach den beiden Aufführungen zum Spielzeit-Ende erst einmal keine weitere Aufführung dieser herausragenden Inszenierung von „Death in Venice“ in Sicht. Für die kommende Spielzeit steht das Stück nicht auf dem Spielplan. Eine Wiederaufführung dieses genialen Stoffs wäre allerdings sehr wünschenswert!

*) Countertenor = eine besonders hohe Tenorstimme in der „Alten Musik“ (Mittelalter, Renaissance, Barock)

© 2014 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Hans Jörg Michel, Mannheim / Deutsche Oper am Rhein

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